Samstag, 3. September 2011

Ausgrabungen Teil1


Drei Männer, drei Funde, oder drei Lügen?
Erster Teil der Trilogie.
Man schreibt das Jahr 2010. Ein goldener Oktober verwöhnt die Menschen am Rhein. Jetzt in den Abendstunden,  liegt eine gewisse Melancholie über dem Rheintal. Beim Lindenwirt in der Drosselgasse ist Ruhe eingekehrt. Drei  Gäste sitzen am Stammtisch und genießen ihren Wein. Eine angenehme Stille ist im Raum. Jeder Fremde würde sofort erkennen, diese Männer kennen einander.
Jupp der Lindenwirt nähert sich dem Tisch und fragt die Männerrunde, ob sie eine zweite Flasche Wein wünschen. Ein beifälliges Nicken der drei Gäste bestätigt ihm, was er schon im Voraus wusste. Ruhig zieht er seine Hand hinter dem breiten Rücken hervor. Er zeigt eine grüne Weinflasche.
Für euch Schatzgräber ein besonderer Schatz, den ich soeben im Weinkeller fand. Einen „Winkeler Honigberg“, Jahrgang 1953 vom Weingut Adam Nass. Eine Riesling  Spätlese. Es ist ein Jahrhundertwein, süffig, trotz seiner angenehmen Säure, samtig weich mit einer vollmundigen Rest Süße.
Die drei Gäste beklatschen die Gabe. Jedes Jahr im Oktober treffen sich die Männer hier. Sie kennen sich viele Jahre. Nur einmal, im Jahr 1968, musste diese Zusammenkunft ausfallen.  Einer von ihnen weilte in Ägypten. Ihr gemeinsamer Beruf führte sie zusammen. Sie sind, bzw. sie waren Archäologen. Ihre Pensionierung liegt fünf Jahre zurück. Alle an dem Tisch, einschließlich Jupp sind 1940 geboren.
Jupp füllt ihnen und sich die inzwischen geleerten Römer. Wie ein Goldstrahl läuft der edle Wein in die Gläser.
Die richtigen Namen dieser drei Gäste spielt hier keine Rolle. Aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund nennen sie sich gegenseitig Fritz. Dabei gelingt es jedem der Männer, ihre Tonlage, beim Nennen des Wortes Fritz, so zu verändern, dass genau der angesprochene und gemeinte Fritz sofort erkennt, er ist hier gemeint.
Früher irritierte es Jupp. Inzwischen gewöhnte er sich an diese Marotte seiner Freunde. Er gehört längst zur Runde. Er ist ein wichtiges Bindeglied in diesem Kreis. Er ist der Ring der die Einheit vollkommen macht.
Langsam und bedächtig hebt jeder am Tisch sein Glas. In der Mitte steht die besagte Flasche und wartet  darauf, ihren letzten Tropfen zu verlieren. Fritz, nenne wir ihn hier Fritz Eins, schnalzt anerkennend mit der Zunge und wendet sich Jupp zu. Du kennst die Leidenschaft der alten Männer. Alt muss er sein, der Wein vom Rhein. Diese Spätlese ist nicht nur alt, sie ist ein Traum. Ein Geschenk der Natur. Einmalig und nicht zu übertreffen. Genießen wir ihn hier und jetzt. Wer weiß schon, was Morgen sein wird? Ein beifälliges Gemurmel bestätigt seine Aussage.  Fritz Eins trinkt mit Andacht und genussvoll aus seinem Glas. Ja, Gesellen, Schatzgräber der Vergangenheit. Lasst uns das Hier genießen. Letztlich zählt doch nur das Jetzt.  Fritz Drei zieht seinen Kopf etwas zurück. Er wiederspricht mit leiser Stimme.
War es nicht immer unser Tun und Schaffen, die Vergangenheit  zu finden? Sie in eine neue Gegenwart zu erheben? Wohl wahr, die Gegenwart hat den Menschen  immer und überall im Griff der Zeit. Ohne eine Geschichte, ohne eine Besinnung auf das Gewesene ist die Gegenwart eine hohle Puppe, ihr fehlen das Leben und der Geist.
Jeder der Männer flüchtete sich, für einen Augenblick, in die Welt seiner eigenen Gedanken. Jeder kennt die Vergänglichkeit der Zeit. Sie wissen um das  Diktat der Uhr. Unaufhörlich läuft auf Erden ihre begrenzte Zeit ab. Es sind diese Gedanken, an ein nicht abwendbares Ende der Tage, dass sie jetzt Schweigen lässt.
Der Wein wirkt ganz behutsam im Körper der Archäologen.  Den ersten Wein, einen 1997er  Rüdesheimer Schloßberg,  tranken sie relativ schnell. Es beginnt der Alkohol zu wirken. Die Männer erfasste eine leichte Wärme. Ihre Stimmung  schwenkte zwischen Schwermut und gefühlten Schweben.
Fritz drei schüttelte sein Kopf und bemerkte mit leiser Stimme.  Weib, Wein und Gesang, das gab es längst zur Zeit der Phönizier. Das Weib fehlt hier an diesem Abend, zu Recht. Den Gesang, ich hoffe er bleibt noch außen vor.  Der Wein, er möge uns ergötzen.  Die Römer mochten ihn. Trotzdem opferten sie ihn ihren Göttern.
 Nach diesen Worten lehnt er sich vor, um der Weinflasche den letzten Tropfen zu stehlen. Er schaute Jupp mit einem fast bettelnden Blick in dessen hellblaue Augen.
Wieder füllte Jupp die Gläser. Der Duft des schweren Weines breitete sich wie eine Wolke über die Gäste. Eine dicke Echtwachskerze spendete sein flackerndes Licht.  Jupp kannte die Vorlieben seiner Freunde und er wusste, ihren verwöhnten Gaumen und Zungen zu erquicken.
Noch einmal erhob er sich und eilte in die Küche. Nach einigen Minuten erschein er  mit einem stattlichen Holzbrett, beladen voll köstlichen, französischen Käse.
Fritz Eins erhob erneut sein Glas, um einen seiner erwarteten Trinksprüche zu rezitieren. Jetzt lasset uns Trinken und uns erinnern an unsere schönste Stunde im Berufsleben. Darauf stoßen wir an und verneigen uns in Ehrfurcht und Achtung vor dem Winzer, der diesen edlen Tropfen einst erschaffen dürfte.
Ich möchte euch jetzt mein größtes Erlebnis schildern.
 Es war im Jahre 1999 in der Syrien. Mein Institut schickte mich damals nach dem  Ausgrabungsort Tall Mischrife Qatna.
Bei einem Spaziergang, in die Nähe der  früheren Grabungsstätte des Königspalastes, sprach mich ein einheimischer Führer an. Er bat mich ihn in  Damaskus zu besuchen.  Dort möchte er mir einige Tontafeln zeigen. Wegen der morgigen, geplanten Fahrt in die Hauptstadt, willigte ich ein. Eine gewisse Skepsis blieb.
Bevor ich weiter erzähle, lasst uns das Glas heben und unserem Jupp einen aufrichtigen Dank aussprechen. Prost! Der Erzähler lehnte sich zurück.  Er sprach erneut.
In Damaskus zeigte mir der Mann zwölf,  schulheftgroße Tontafeln. Ich sah altgriechisch Schriftzeichen. Auf einer Tafel befand sich eine Skizze. Es musste eine Lagezeichnung sein. Sofort erkannte ich den unschätzbaren Wert dieser Fundstücke, wenn sie denn echt sind. Aus einer unerklärlichen Ahnung heraus, führte ich mehreren „Hundert Dollar Noten“ mit. Ohne zu zögern, bezahlte ich für alle Tafeln, die geforderten 750 Dollar. Es war mir in diesem Moment nicht bewusst, oder ich wollte nicht daran denken, dass eine große Wahrscheinlichkeit bestand, ein gewitzter Schwindler hat soeben einen gestandenen Wissenschaftler geschickt über beide Ohren gehauen. Dazu kam, dass der Handel mit Altertümern in Syrien streng reglementiert ist. Die illegale Ausfuhr dieser geschichtsträchtigen Ware ist hier verboten.
Ich musste sofort in mein Hotelzimmer eilen. Dor wollte ich meinen Schatz näher untersuchen. Mein Herz schlug bis zum Hals.  Erst im Hotelzimmer gelang es mir, meinen Puls auf ein verträgliches Maß zu reduzieren. Allerdings nur für wenige Minuten. Ich lass die Texte der Tontafeln. Sofort erfasste ich die Tragweite meines Kaufes. Waren sie echt, stand ich vor dem größten Fund seit Schliemann, Carter oder der Sonnenscheibe von Nebra.
Im Gastraum herrschte eine atemlose Stille. Alle schauten gebannt auf den Erzähler. Der genoss es, die Spannung zu erzeugen. Fast flüsternd kamen die nächsten Worte über seine Lippen.
Wenn sie echt sind, diese Stücke und nur dann, ja dann, hielt ich damals die detaillierte Geländeskizze des Mausoleums von Alexander des Großen in Alexandria und die Beschreibung seiner Grabbeigaben in meinen Händen.
Ich zitterte, wobei das Zittern meinen ganzen Körper erfasste. Meine Beine wollten ihren Dienst versagen.  Mein Verstand befahl mir Ruhe zu bewahren, mich auf mein Hotelbett  zu setzen. Sterbe ich jetzt und hier in diesem lausigen Hotelzimmer den überraschenden Herztod? Gelingt es mir, mit meinem vernunftbegabten Willen, meinen außer Kontrolle geratenen Organismus aus Fleisch und Blut wieder in geordnete Bahnen zu lenken, bevor  mein Herz aufhört zu schlagen? Ich musste mich jetzt sofort beruhigen. Langsam, ganz langsam glitt mein Ich von unbeschreiblicher Erregung in einen Art Lähmungszustand.
Hier stand es. Eingeritzt vor über 2000 Jahren. 135 Kamelladungen Gold und Silber gehörte zu den Grabbeigaben. Alexanders sterbliche Überreste  gebettet auf einem Totenlager aus Geschmeide und Schmuck von unschätzbarem Wert. Sein Sarg bestand aus purem Gold.
Wohl ersetzte der spätere König Ptolemaios den Goldsarg durch einen Sarg aus Glas. Das Gold und die Edelsteine blieben in der Totenkammer, bis ein furchtbares Erdbeben Alexandria zerstörte.
Nach der Auflistung ist das Gold bei den heutigen Marktpreisen über Milliarden Dollar wert. Edelsteine, deren Schätzung nicht festlegbar ist, deren Größe und Glanz noch nie ein Mensch seit 2500 Jahren erblicken durfte, müssen sich in den versunkenen Ruinen des Mausoleum befinden.
In dieser Nacht kreisten meine Gedanken immer und immer wieder um diesen Schatz. Konnte und durfte ich dieses, mein Geheimnis der Welt offenbaren? Mit allen seinen eventuell guten, doch sehr wahrscheinlich schrecklichen Folgen? Was geschieht mit dem Gold, den Edelsteinen?  Würde der Goldpreis fallen?  Mit welchen unabsehbaren Auswirkungen für die Menschen, den Regierungen, der Region in Ägypten? Käme es zu einem Krieg wegen der Besitzanforderungen einiger Staaten?
Nach Stunden des Denkens, Abwägens, eine Für und des Wider stand mein Entschluss fest. Auf den steinernen Fußboden des schmalen Sanitärraumes zertrümmerte ich beide Tafeln bis ein ockerbrauner Staub die Fließen des Bades bedeckten. Ein nasses Handtuch beseitigte die letzten Spuren. Für eine Nacht war ich der bekannteste und reichste Archäologe der Welt. Für diese Nacht durfte ich die Versuchung der Eitelkeit, der Habgier und der Unsterblichkeit erleben. In dieser Nacht war ich Faust und Mephisto in einer Person.
Es dauerte eine Weile, ehe sich Fritz Zwei äußerte. Du hast die richtige Entscheidung getroffen. Ich hätte es genauso getan.  Ein beifälliges Kopfnicken von Fritz drei und Jupp beendete dieses Thema.
Ende Teil 1

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